Im Europaparlament wurde am Dienstag, den 23. Oktober 2018 über die Zukunft der Europäischen Union diskutiert. Mit dabei war der Präsident von Rumänien, der wie auch verschiedene andere europäische Regierungs- und Staatschefs sich mit dem Europäischen Parlament austauschte.
Wenn im Europäischen Parlament (EP) hoher Besuch erwartet wird, ist die Stimmung immer ein bisschen feierlicher als sonst. Einen dramatischen Tusch gibt es in der Regel zwar nicht, würde aber gut dazu passen, wie der Präsident Rumäniens neben dem Präsidenten des Parlaments gemessenen Schritts zu den Plätzen des Präsidium schreitet. Während er dort kurz an der Seite des Parlamentspräsidenten Platz nimmt, lässt er sich von ihm begrüßen und als „Hauptteilnehmer“ der Debatte ehren.
Ich habe diesmal die „Debatte mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis über die Zukunft Europas“ vom 23. Oktober 2018 verfolgt. Das Europäische Parlament lädt in guter Tradition regelmäßig die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU ein, um sich mit ihnen über die Zukunft der EU auszutauschen. Die Mitgliedsstaaten sind sehr wichtig im Prozess der Gesetzgebung auf europäischer Ebene. Deshalb ist das Parlament darauf bedacht, sich mit ihnen auszutauschen.
Der Beitrag heute schließt an den Artikel an, den ich vor drei Wochen über eine Debatte im Deutschen Bundestag geschrieben habe. Ich möchte die Parlamentsarbeit auf kommunaler, förderaler, bundesweiter und auf europäischer Ebene beobachten und suche dafür noch Mitstreiter*innen! Wer diese Arbeit also auch spannend findet, kann sich gerne bei mir (Carl-Niklas Lempert, freiwillige@pjr-dresden.de) melden! Hier steht dazu noch mehr.
Wie läuft die Debatte ab?
Nach der Begrüßung durch den Parlamentspräsidenten Antonio Tajani hält das rumänische Staatsoberhaupt eine recht ausführliche Rede. Darauf antwortet der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker, danach haben die Mitglieder des Parlaments die Möglichkeit, sich im Rahmen des sogenannten „Catch-the-Eye-Verfahrens“ zu Wort zu melden. Das „Catch-the-Eye-Verfahren“ ist ein Verfahren, welches regelt, in welcher Reihenfolge die Abgeordneten reden. Wenn ein Abgeordneter gerne etwas zum Thema sagen möchte, dann teilt er dies dem Präsidenten elektronisch durch einen Knopfdruck auf der Armatur des Abgeordnetenpultes mit. Der Präsident setzt ihn*sie dann auf die Redeliste, wobei er darauf achtet, dass die Verteilung der Redezeit nicht von einer bestimmten Fraktion ins Ungleichgewicht kommt. Bei diesem Verfahren gibt es also vermehrt spontane Wortmeldungen.
Die Debattenbeiträge sind hier in Originalsprache zu lesen, und hier kann man die gesamte Aussprache mit Simultanübersetzung zu Deutsch, in Originalsprache oder anderen Sprachen als Video anschauen. Wer sich einzelne Redebeiträge ansehen will, kann dies hier tun. Die hier erwähnten Redebeiträge sind zusätzlich noch im folgenden Text verlinkt.
Die Rede von Rumäniens Präsident
Nachdem er also vom Parlamentspräsidenten begrüßt wurde, nimmt sich Klaus Werner Iohannis (PNL; Rumänien), bevor er zu reden beginnt, noch die Zeit dem Kommissionspräsidenten die Hand zu schütteln. Dann erst geht er zum Rednerpult. Das Rednerpult im EP wird nur sehr selten genutzt. Normalerweise reden die Mitglieder des Parlaments von ihren Plätzen aus. Doch dies ist einer der seltenen Momente, in denen es verwendet wird.
Iohannis‘ Rede beginnt damit, dass er einige Krisen aufzählt, die die Zusammenarbeit in der EU in den letzten Jahren bestimmt haben. Durch Finanz- und Wirtschaftskrise, Migration und populistische Bewegungen wurde die Arbeit in der Union erschwert. Iohannis betont, dass Europa eine gemeinsame Vision entwickeln muss, die sich auf gemeinsame europäische Werte, Prinzipien und Interessen stützt. Er plädiert weiterhin auch dafür, dass niemand, also kein*e Bürger*in und kein Mitgliedsstaat, zurückgelassen werden darf. Das heißt, die Europäische Union soll einheitlich handeln, und ein Europa der „unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ oder der „konzentrischen Kreise“ wäre keine Lösung. Er zitiert einen Ausspruch von Juncker, dass Europa neuen Schwung brauche, für den Europa mit beiden „Lungenflügeln“ Luft holen muss, mit dem westlichen und dem östlichen. Iohannis ergänzt aber, dass Europa ein gemeinsames Herz habe, welches für uns alle schlägt. Die Bürger*innen sollten sich als Europäer*innen verstehen. Für die Präsidentschaft Rumäniens im Rat der EU werde er sich dafür einsetzen, dass die Bürger*innen an der Gestaltung der Zukunft der EU beteiligt sind. Für die Zukunft ist ihm klar, dass es keine EU ohne den Binnenmarkt und seine vier Grundfreiheiten (Freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, Freier Kapital- und Zahlungsverkehr) geben kann.
Ein Zukunftsthema für die EU sei die Digitalisierung. Die EU solle sich darum bemühen, dass Europa Vorreiter in der technologischen und digitalen Revolution werde. Gerade aus der rumänischen Perspektive ist das wichtig, denn im Bereich der Digitalisierung hat Rumänien einen sehr fortschrittlichen Sektor. Beim Thema Sicherheit und Migration muss die EU aber auch eine Strategie entwickeln. Für die Entwicklung der Union sei es wichtig, dass sie weiter an Mitgliedern wachse, denn je größer die EU sei, desto stärker sei sie. Die Erweiterung der Union muss Notwendigkeit bleiben, auch um die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung von Nachbarstaaten zu stärken. Dadurch kann Europa auch stärker als globaler Akteur auftreten.
Zum Schluss stellt sich Iohannis hinter den Grundsatz „in Vielfalt vereint“. Außerdem betont er: „Europa ist Rumänien und Rumänien ist Europa.“
Die Antwort der Kommission
Jean-Claude Juncker (CSV/PCS; Luxemburg) antwortet als Präsident der Kommission. Juncker betont zu Beginn sehr intensiv, dass er zum einen den rumänischen Präsidenten gut kennt und auch persönlich sehr mag, zum anderen, dass Rumänien ein sehr wichtiger Mitgliedsstaat ist. Die EU wäre ohne Rumänien nicht vollständig, zum Beispiel da Rumänien auf europäischer Ebene oft mutiger vorangeht als so manch anderer Mitgliedsstaat, der schon länger Mitglied der EU ist. Juncker plädiert dafür, dass Rumänien schnell Mitglied des Schengenraums werden soll, nämlich noch bevor Rumänien den Vorsitz des Rates übernimmt. Kritik äußert Juncker auch: Er drängt darauf, dass in Rumänien ein Konsens gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit entsteht, vor allem in Regierung und Parlament. Wenn dies nicht passieren würde, würde es der Kommission schwerfallen, den Beitritt zum Schengenraum vorzuschlagen.
Stimmen aus dem Parlament
Als erster Vertreter des Europäischen Parlaments spricht Manfred Weber (CSU; Deutschland) für die „Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten“ (PPE). Weber begrüßt die gute wirtschaftliche Entwicklung, die Rumänien in den letzten Jahren hatte. Trotzdem kann man, wenn man von Rumänien spricht, nicht von einer geeinten Europäischen Union sprechen, da die Lebensstandards zwischen Rumänien und zum Beispiel Luxemburg sehr unterschiedlich sind. Um Europa zu einen müssten die Lebensstandards angeglichen werden. Außerdem will er mehr in Osteuropa investieren, indem zum Beispiel große Forschungsprojekte in Osteuropa stattfinden. Studieren im Osten Europas müsste auch attraktiver werden. Weber unterstützt Iohannis, da dieser für ein modernes und demokratisches Rumänien ohne Korruption stehe.
Weber spricht auch die anstehenden Europawahlen an, die unter der Ratspräsidentschaft von Rumänien stattfinden werden. Weber wirbt dafür, dass die demokratischen Parteien stärker ihre Unterschiede deutlich machen, um Perspektiven für der EU aufzuzeigen.
Danach spricht der Vorsitzende der „Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“ (ALDE), Guy Verhofstadt (Open Vld; Niederlande). Verhofstadt beschreibt, dass er in Sorge über den Zustand der rumänischen Demokratie ist. „Dubiose Reformen“ seien eine Gefahr für sie. Er ruft dazu auf, dass der Präsident mit der Regierung zusammenarbeitet, um ein Abdriften in eine illiberale Richtung zu verhindern. Rumänien spielt eine wichtige Rolle, um dies in ganz Europa zu verhindern.
Verhofstadt ruft dazu auf, dass Europa sich stark und selbstbewusst zeigt. So ist er unzufrieden, dass die europäischen Außenminister zum Fall Kashoggi bloß eine „weiche Erklärung“ verabschieden, anstatt eines europäischen Waffenembargos.
Nun spricht Ska Keller (B90/Grüne; Deutschland), eine der Fraktionsvorsitzenden der Fraktion „Die Grünen/Europäische Freie Allianz“ (Verts/ALE). Keller will ein Europa mit gemeinsamen Werten, Demokratie, Bürger*innenrechte und Freiheit und keines mit Nationalismus und Regierungen, die die europäische Demokratie gefährden. Sie kritisiert den Umgang der amtierenden rumänischen Regierung mit Demonstrierenden, die eben diese kritisiert haben. Sie appelliert an den rumänischen Präsidenten, dass er voran gehen und alle Parteien zum Handeln gegen Korruption etc. bewegen soll. Er muss als Vorbild fungieren, so Keller.
Tania González Peñas (Podemos; Spanien) von der „Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken“ (GUE/NGL) redet nun. Peñas sagt, dass der Präsident im rumänischen Wahlkampf den Menschen versprochen hat, dass er gegen Korruption vorgehen werde. Sie fordert ihn dazu auf, sich stärker dafür zu engagieren und seine verfassungsgemäßen Aufgaben diesbezüglich zu nutzen. Es solle sich stärker für Demokratie positionieren und dagegen, dass Rumänien ähnlich wie Ungarn oder Polen in die Illiberalität abrutscht. Iohannis soll standhaft bleiben, indem er sich gegen undemokratische Tendenzen in der Regierung stellt.
Nach Peñas spricht Rosa D’Amato (M5S; Italien) für die Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFDD). D’Amato führt aus, dass sie, wenn sie an Rumänien denkt, zuerst an die Rumän*innen in ihrem Land Italien denken muss. Danach denkt sie an die Probleme wie Korruption. Sie will nicht den Lehrmeister spielen, denn Korruption ist auch anderswo ein Problem. Korruption sei der schlimmste Diebstahl. D’Amato verteidigt ausführlich die Politik ihrer Partei in Rom, was jedoch nicht das Thema der Aussprache zu sein scheint, weshalb ich dies hier nicht darlege.
Antwort des Präsidenten
Nachdem noch einige andere Abgeordnete sprechen, hat Iohannis die Möglichkeit zu antworten. Vorher weist der Parlamentspräsident darauf hin, dass der Gegenstand der Debatte die Zukunft der EU sei, und nicht die Lage in Rumänien.
Der rumänische Präsident bedankt sich zunächst bei den Abgeordneten, die sich geäußert haben. Verschiedene Aspekte wurden angesprochen und ihm liege der Aspekt, wie die Lage in Rumänien aussieht, besonders am Herzen. Die Demokratie in seinem Land sei im Aufbau und im Wandel, seitdem es sich von der sozialistischen Diktatur befreit hat. Für ihn sei klar, dass Rumänien ein Rechtstaat, ein demokratischer Staat ist. Die Demokratie lebt, so Iohannis. Er ist fest entschlossen, die demokratischen und rechtstaatlichen Werte zu verteidigen. Ihm ist wichtig, dass der harte Kampf gegen Korruption weiter gekämpft werde. Er werde sich für ein demokratisches und europäisches Rumänien einsetzen.
Zur unmittelbaren Zukunft Europas äußert sich Iohannis zum Thema Brexit. Sein Ziel sei es eine Einigung mit Großbritannien zur erzielen und dann gut mit dem Inselstaat zusammenzuarbeiten. Bei den Verhandlungen habe er wahrgenommen, dass die übrigen Mitgliedsstaaten sehr geschlossen und einheitlich agierten. Deshalb sei die Einheit Europas kein Luftschloss, sondern in manchen Bereichen bereits gegeben. Für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), dem Haushalt der EU, ist ihm wichtig, dass es zu einer Einigung zwischen Parlament, Rat und Kommission kommt. Er schließt sich der Position des Parlaments an, den Haushalt aufzustocken. Ein Thema, wofür eine europäische Lösung nötig ist, ist die Migrationspolitik. Die EU darf nicht mehr auf Krisen reagieren, sondern muss Krisen verhindern oder zumindest vorbeugen.
Beim EU-Sondergipfel in Sibiu (Hermannstadt), Rumänien möchte Iohannis Denkanstöße für die Zukunft der EU geben und damit nicht nur europäische Politiker*innen erreichen, sondern auch die Bürger*innen der Europäischen Union.
Fragen und Appelle aus dem Parlament
Im Folgenden melden sich viele Abgeordnete zu Wort, die entweder eine sehr konkrete Frage an den Präsidenten haben, oder ein kurzes Statement zu verschiedenen Themen abgeben. Die Redebeiträge sind eher kürzer. Zwei Redebeiträge möchte ich vorstellen.
Zunächst der Beitrag des Abgeordneten Marek Jurek (Prawica Rzeczypospolitej; Polen) der „Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer“ (ECR). Jurek betont, dass Rumänien wichtig für die Sicherheit der EU ist. Es sollte vermieden werden, dass man Sicherheitsstrukturen verdoppelt. Er widerspricht Verhofstadt, der meint, dass bei Ratsentscheidungen das Mehrheitsprinzip, nicht das Prinzip der Einstimmigkeit, gelten sollte. Jurek ist der Meinung, dass dann Entscheidungen zu Ungunsten von Staaten wie Rumänien getroffen werden, weil Rumänien östlicher als die meisten Länder der Union liegt. Die Region liege nicht im natürlichen Sicherheitsinteresse der westlich gelegenen Staaten.
Später redet die Abgeordnete Claudia Țarpadel (PSD; Rumänien) der „Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament“ (S&D). Sie fordert Iohannis dazu auf, sich proaktiv dafür einzusetzen, dass Rumänien in den Schengenraum aufgenommen wird, um damit eine „große Ungerechtigkeit“ zu beseitigen. Laut ihrer Meinung hat der Präsident heute konstruktive Botschaften gesendet, indem er sagte, dass er sich für Unschuldsvermutung, Grundrechte und anderes einsetzt. Dies soll er aber auch in Rumänien tun, und nicht nur vor dem Europäischen Parlament sagen.
Nach vielen weiteren Beiträgen bekommt Präsident Iohannis noch einmal das Wort. Er bedankt sich für Rumänien wertschätzende Worte und alle konstruktive Kritik. Eine andere Form von Kritik sei im Europäischen Parlament schwer vorstellbar, so Iohannis. Er ruft zu inhaltlichem intensivem Austausch auf. Auf die sehr detaillierten Fragen will er aber nicht in diesem Kontext antworten, verspricht dafür allen Abgeordneten, die eine Frage gestellt haben, eine schriftliche Antwort.
Er hat die Vision, dass die EU außenpolitisch ein stärkeres Gewicht bekommt, dabei soll sie sich einerseits für die Wahrung und Respektierung der Vielfalt einsetzen und andererseits geschlossen vorgehen. Er will mit den Bürger*innen Antworten auf die entscheidenden Fragen finden und damit der EU eine Zukunft geben.
Schluss der Debatte
Damit schließt die Aussprache über die Zukunft der Europäischen Union. Aus den Redebeiträgen lässt sich leider keine gemeinsame Position der Fraktionen herausfiltern. Das liegt daran, dass sich im Europäischen Parlament die Situation folgendermaßen gestaltet: Es gibt insgesamt acht Fraktionen und einige fraktionslose Abgeordnete. Die einzelnen Fraktionen bestehen aus den Abgeordneten der nationalen Parteien aus verschiedenen Mitgliedsstaaten. So kommt es, dass man zum Beispiel in der konservativen Fraktion „PPE“ die Abgeordneten der deutschen CDU findet, aber auch die der ungarischen Fidesz-Partei, also der nationalkonservativen rechtspopulistischen Partei Orbáns. Die Fraktionen sind also Sammelbecken von sehr unterschiedlichen Parteien, sodass es sehr schwierig ist, zu bestimmten Themen einheitliche Positionen der Fraktionen zu finden. Deshalb verzichte ich diesmal darauf zu versuchen, die Positionen der Fraktionen zusammenzufassen.
Die Aussprache fand, wie im Europäischen Parlament üblich, auf den 24 Amtssprachen der Europäischen Union statt. Um die Beiträge auf den mir nicht bekannten Sprachen mit einzubeziehen, habe ich den Verdolmetschungsdienst des Europäischen Parlaments benutzt, welcher keine authentische Aufzeichnung der Verhandlungen darstellt.
Ausblick
Das nächste Mal wird es um eine Debatte im Sächsischen Landtag gehen. Das Thema steht noch nicht fest. Wenn ihr Wünsche habt, dann lasst es mich wissen. Und wenn nicht, gilt: Lasst euch überraschen!