Bericht aus Lviv – Rückblick auf unsere Jugendbegegnung

Bericht aus Lviv – Rückblick auf unsere Jugendbegegnung

Nach einer langen Anreise von Dresden nach Lviv wurden wir am Hauptbahnhof von Diana Libert empfangen. Diana vertrat die Deutsche Jugend in der Ukraine (DJU), welche die Partnerorganisation des Politischen Jugendring Dresden (PJR) für diese Begegnung ist. Nachdem die Reisenden sich kurz erholen konnten, begannen kleine Kennenlern-Spiele um die Teilnehmer miteinander vertraut zu machen. So erfuhr jeder, warum die anderen teilnahmen und welche Hoffnungen und Wünsche mit der Begegnung verbunden wurden. Nachdem man sich persönlich kennengelernt hatte, stellten die Betreuer die beiden Organisationen (PJR & DJU) ausführlich vor. So erfuhren die Teilnehmer, welche Schwerpunkte und Aktivitäten beide Organisationen in ihrer Arbeit setzen und welche Aktivitäten und Angebote (abgesehen von der Jugendbegegnung) noch angeboten werden und wurden.

Den Einstieg in die inhaltliche Arbeit und die Begleitung des Kulturabends, sowie ein Teil des Teambuilding-Workshop wurden von Eric Eberle, welcher zur Zeit der Jugendbegegnung am Goethe Institut in der Ukraine angestellt war, vorbereitet und durchgeführt. Mithilfe interaktiver Methoden, Gruppenbildung und Rechercheaufgaben, erschlossen sich die Teilnehmer die Themenfelder: Parteien, politischen System und polit. Akteure. Nach den Vorstellen der beiden Länder wendete man sich in neuen Gruppen Karten von Kontinenten zu, auf welchen man mit verschiedenen Farben den Status verschiedener Grund- und Freiheitsrechte in den verschiedenen Ländern markieren musste. Orientiert wurde sich dabei am Bertelsmann Transformation Index und den Freedom House Index. 

Diana Libert und Anna Rabzun, die zweite Betreuerin von Seiten des DJU, hielten am nächsten Tag einen Vortrag zum Stand des bürgerschaftlichen Engagements in der Ukraine. Anschließend erweiterte Franz Beensen die Perspektive durch ein Input-Referat zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland. Grundlage dafür bildete die Allensbach-Studie zum freiwilligen Engagement, welche 2014 im Auftrag des Familienministeriums fertiggestellt wurde. Ergebnis war, dass das bürgerschaftliche Engagement in der Ukraine nicht so stark ausgeprägt ist wie in Deutschland. Im Stuhlkreis wurden mögliche Ursachen dafür diskutiert und benannt: Die soziokulturelle Prägung, die materiellen Verhältnisse und Sozialstruktur, die Geschichte etc.

Vom Wort zur Tat

Nun galt es auch etwas daran zu verändern und sich nicht mit der, in Teilen vorhersehbaren, Problemanalyse zufrieden zu geben. In den Räumen der DJU in Lviv wurde von Diana deswegen ein Workshop zum Projektmanagment gegeben, indem die Teilnehmer ihre Ideen ausformulierten und Strategien entwickeln mussten, diese umzusetzen. Dabei legte sie besonderen Schwerpunkt auf den Zusammenhang von Eigenverantwortung für sich und Verantwortung für die Gesellschaft als Ganzes, welchen sie nicht als Widerspruch, im Sinne eines entweder-oder, sondern als Kontinuum beschrieb, sodass aus Engagement für die eigene Persönlichkeitsentwicklung auch, oder gerade, Engagement für die Bürgerschaft des jeweiligen Landes erwachsen kann. 

Ein weiterer Workshop von einem externen Kursleiter widmete sich dem Thema „Gleichstellung der Geschlechter“. Frauen übernehmen in der Ukraine sehr viel Verantwortung in allen Bereichen und engagieren sich im Allgemeinen mehr als die Männer. Dennoch sieht fast die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung häusliche Gewalt nicht als Gewalt an und Frauen werden strukturell unterdrückt. Der Kursleiter versuchte ein Problembewusstsein dafür zu erzeugen. Hierfür konstruierte er zunächst gängige (Geschlechter)stereotype und dekonstruierte diese anschließend wieder. Alter, Geschlecht, Größe und Begabung wurden so als jeweilig relative, kontextabhängige Bewertungsmaßstäbe entlarvt. Abschluss bildete ein Gruppenspiel unter freien Himmel, bei den nach dem Schere-Stein-Papier Prinzip die Teilnehmer in Gruppen gegeneinander antraten. Dabei mussten Schere-Stein-Papier (in diesem Fall: Drache, Samurai und Prinzessin) performativ dargestellt werden. Dabei besiegte der Drache zwar die zierliche Prinzessin, aber diese schlug eben auch den maskulinen Samurai (welcher wiederum den Drachen besiegte). So kam der Workshop zu einem gelungem Abschluss. Am Abend wurde viel über die Geschlechtergerechtigkeit und anschließende Themen, z.B. gegenderte Sprache, kontrovers, aber freundlich und konstruktiv, diskutiert. 

Schwache Zivilgesellschaft?

Aufgrund der Tatsache, dass das bürgerschaftlichen Engagements in der Ukraine nicht besonders stark ausgeprägt ist, ist die Anzahl an NGO´s die man besuchen kann, begrenzt und viele befinden sich erst seit den Maidan-Protesten im Aufbau. Außerdem mangelt es vielen an verlässlicher Finanzierung. Dank Dianas unermüdlichen Einsatz konnten wir dennoch einige besuchen und mit ihnen diskutieren.

So waren wir bei dem Lemberger Jugendzentrum. Dieses hat es sich zur Aufgabe gemacht einen Raum in Eigenregie zu sanieren und der Bürgerschaft Lvivs zur Verfügung zu stellen. Gegründet wurde sie während der Maidanproteste. Der Vertreter berichtete ausgiebig von den großen, strukturellen Problemen bezüglich Finanzierung, Korruption, Bürokratie und politischer Instabilität. Gleichzeitig war er sehr positiv hinsichtlich der weiteren Entwicklung und hochmotiviert. Inzwischen werden die Räume der Organisation von verschiedensten Vereinigungen, einziges Kriterium ist die Unparteilichkeit der in den Räumen stattfinden Veranstaltungen, genutzt. Schachturniere, Sprachkurse, Tanzwettbewerbe und Jugendbegegnungen finden dort statt. Perspektiv soll das Gebäude ausgebaut werden. Es wird versucht sanitäre Einrichtungen, Schlafsäle und mehr ein- beziehungsweise herzurichten. 

Die zweite Organisation ist eine Ausgründung eines studentischen Fachschaftsrates, konkreter einer Gruppe von Studierenden die sich nicht nur hochschulpolitisch engagieren wollten. Sie hat noch gar keine Räumlichkeiten und organisiert sich hauptsächlich digital. Die Studierenden stellen dabei Materialien für Veranstaltungen bereit, sammeln Geld für die Wohlfahrt, helfen beim Auf/Abbau von gemeinnützigen Veranstaltungen und werben beständig neue Mitglieder. Inzwischen sind sie in Lviv recht bekannt und ihr nächstes Ziel ist es, feste Räume zu erhalten.

Das kulturelle Rahmenprogramm bildete eine Stadtführung und ein Ausflug in die Umgebung von Lviv am letzten Tag vor der Abreise. Es wurden viele Kontakte geknüpft, sowohl zwischen den Teilnehmern, welche sich sehr auf den Teil in Leipzig freuen, als auch zwischen den Organisationen die wir besuchten und Organisationen in Deutschland, welche durch unsere Teilnehmer vertreten wurden. Beispielsweise engagierten sich viele deutsche Teilnehmer in der studentischen Selbstverwaltung und haben sich mit der studentischen Organisation in der Ukraine vernetzt, um diese zu unterstützen.

Ende gut?

Zuletzt gilt es noch die gesteckten Ziele mit dem tatsächlich geleisteten abzugleichen. Die interkulturelle Kompetenz der Teilnehmer hat sich unserer Einschätzung nach erhöht, die Teilnehmer zeigten großes Interesse an der Kultur der Länder der Partnerorganisationen. Wissen über Geographie, Politik, Gesellschaft, Geschlechterverhältnisse und das Leben der Jugend in den Partnerländern ist angewachsen. Im Rahmen verschiedener Sprachübungen wurden Grundkenntnisse des Ukranischen vermittelt. Die ukrainischen Teilnehmer bedankten sich sehr für die Offenheit und Geduld der deutschen Teilnehmer, wenn sie ihre Deutschkenntnisse anwandten. Die ukrainischen Teilnehmer lernten wichtige politische Akteure und Parteien in Deutschland kennen.  Abseits davon entwickelten sich Freundschaften, über welche sich über Sport, Mode und (Pop-)Kultur regelmäßig ausgetauscht wird, vor allem über die sozialen Netzwerke. Klischees und Stereotype wurden gezielt gesammelt und durch den gemeinsamen kulturellen Abend widerlegt. Die Deutschen lernten die Ukraine als homogenen Vielvölkerstaat mit unterschiedlichsten Ethnien und Traditionen kennen. Die Ukrainer lernten, dass man Bayern (Lederhosen, Dirndl, Oktoberfest) nicht mit ganz Deutschland gleichsetzen darf. Durch die Aufgabe ein Praxisprojekt vorzustellen wird die Beschäftigung mit dem Thema der Begegnung für den Zeitraum zwischen den Teil in Lviv und Leipzig gewährleistet. In Leipzig werden die verschiedenen Praxisprojekte thematisch sortiert und mithilfe einer Ideenschmiede und einen Markt der Möglichkeiten follow-up Projekte angestoßen. Drei deutsche Teilnehmer ließen sich, motiviert durch die Jugendbegegnung, für die Fachschaftsrat Wahlen in Leipzig aufstellen. Organisationen mit best-practice Charakter müssen verstärkt in Leipzig besucht werden, in der Ukraine finden sich davon, aufgrund der doch sehr anderen politischen und sozioökonomischen Situation und den mit diesen zusammenhängenden Schwierigkeiten, leider nicht sehr viele.

Beste Grüße,

Franz

Das Projekt wird gefördert aus Mitteln der Landeshauptstadt Dresden (Jugendamt), des Freistaat Sachsens (Sächsische Staatskanzlei, „Interregionale und grenzübergreifende Zusammenarbeit“) sowie des Auswärtigen Amtes / Bund („Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland“).