Frieda über ihren ESC in Bulgarien

Frieda über ihren ESC in Bulgarien

Der “European Solidarity Corps” oder bis 2016 der “European Voluntary Service” wurde von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen, um jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren die Möglichkeit zu geben, Europa kennenzulernen und ihren Teil zur Entwicklung einer für sie wünschenswerten Gesellschaft beizutragen. Nicht nur 27 politisch europäische Länder, sondern auch vier Nachbarländer auf dem europäischen Kontinent bieten ihrer und ausländischer Jugend aus Europa die Möglichkeit an, intereuropäische Erfahrungen im sozialen, ökologischen, kulturellem oder politischen Bereich zu sammeln.

Zu vergleichen sind diese Projekte mit dem “Freiwilligen sozialem/ kulturellem/ ökologischem Jahr”, der deutschlandweit von verschiedensten Institutionen angeboten wird, sowohl bezüglich der behandelnden Themen, als auch der Arbeitszeiten, Anforderungen, Dauer und finanziellen Entschädigung. Dagegen ist der “ESC” international von der EU unterstützt, das “FSJ” regional und überregional von Deutschland.

Ich bewarb mich 2021 nach meinem Abitur bei verschiedenen Angeboten auf der ESC- Webseite, vor allem bei sozialen und ökologischen Projekten in Ländern mit slavischer Sprache. Hauptgründe für diese Entscheidung waren vor allem das Interesse, neue Sprachen zu lernen und Kulturen zu erleben. Schnell baute sich der Kontakt zu mehreren Organisationen auf, unter anderem zu der NGO “Building a community” in Shipka, in der Mitte Bulgariens. Letzten Endes überzeugte mich bei beiden Skype-Vorstellungsgesprächen das Engagement und die Dynamik der kleinen Freiwilligengruppe und knapp einen Monat später fuhr ich nach Bulgarien.

Dinge, auf die man sich beim ESC verlassen kann:

– Legitimierte Organisationen

– Finanzielle Unterstützung oder gesamte Übernahme aller Kosten

– Chancengleichheit für verschiedenste Nationalitäten, Geschlechter und Persönlichkeiten

Dinge, auf die man bei der Wahl des Projektes achten sollte:

– Persönliche Präferenzen und Ziele

– Zeitraum und Ort

– Gruppendynamik (Schließlich wird man die nächsten Monate dort arbeiten oder sogar wohnen)

Unterstützung in Vorbereitung und einen deutschen Ansprechpartner fand ich in der Organisation “PJR Dresden”, die schon öfter mit besagter Organisation zusammengearbeitet haben.

Als ich nach 27 Stunden Busfahrt in Sofia ankam, hatte ich erst einmal einen halben Nervenzusammenbruch, da es im gesamten Bahnhof kein Internet gab, niemand Englisch sprach und ich keine Ahnung hatte, wo und wann der nächste Zug nach Kazanlak abfahren würde, aber nach einer Pizza und dem gefundenen Bahnsteig (Sofias Hauptbahnhof hat nur ungefähr ein Dutzend Gleise, also war es nicht ganz so beängstigend wie zum Beispiel in Deutschland) war es wieder einigermaßen okay. Ich hatte mich bewusst für ein ökologischeres und längeres Transportmittel als den Bus entschieden, denn ich wollte mehr von Europa sehen, die Entfernung wertschätzen und umweltschonender Reisen.

Für die Hinfahrt:

– Welcher Zeitraum, welches Verkehrsmittel, welcher Preis? (Die Europäische Union übernimmt einen gewissen Teil bis zu einem bestimmten Betrag, ich musste aber dennoch draufzahlen)

– Womit wirst du die Reise im Land fortsetzen? Ich für meinen Teil würde im Nachhinein, wenn man die Sprache nicht spricht, empfehlen, sich vorher schlau zu machen oder einige Sätze aufzuschreiben, um meine Situation zu vermeiden

– Eventuell wäre es schlau, Geld in der jeweiligen Landeswährung mitzunehmen, wenn dieses nicht den Euro etabliert hat.

Meine persönliche Packliste (Im Nachhinein):

– Klamotten: Für ca. eine Woche an die jeweiligen Bedingungen angepasst, evtl. Sport-, Schlaf- und Ausgehsachen, allerdings muss es wirklich nicht mehr sein als ein Outfit pro Situation, 2 Handtücher und ein Set Bettwäsche

– Elektronik: Handy, Ladekabel, Kopfhörer, Laptop

– Bücher: Nein (Ich habe bis jetzt noch kein einziges von meinen gelesen)

– Hygiene: Ich benutzte hier nur Shampoo, Seife, Zahnpasta und – bürste, Haarbürste, Menstruationstasse und Deo. Also keine Schminke, Pflegeprodukte o.ä.

– Sonstiges: Keine Erinnerungen (schau ich mir eher nicht an), Wanderzeug (weil meine Mitvolunteers gerne wandern gehen und das für Festivals super praktisch ist)

– Gastgeschenke: VIEL (sagen meine Mitvolunteers), eine Süßigkeit pro Person + ein Gesellschaftsspiel (sage ich)

Reiserucksack mit Powerbank, Handy, Kopfhörer, Zahnbürste, Essen (hauptsächlich Schokolade) und Trinken

Zuerst empfand ich die ungewohnte Situation als erschreckend und einschüchternd. Es war Abend, als ich endlich in Schipka ankam und es war überwältigend komisch und neu, zum Beispiel gab es keine Heizung, alle aßen draußen und das Toilettenpapier wurde kompostiert statt ins Klo geschmissen (hört sich eklig an, geht aber voll klar). In diesem Projekt lebe ich mit der Leiterin Tanja, ihrer achtjährigen Tochter Boudicca, den Haustieren Sara, der Hündin und Monkey und Shara, den Katzen und den Volunteers Tami, Majá und Hugo in einem Haus. Aufgaben sind unter anderem, in Boudiccas Schule auszuhelfen, den Selbstversorgergarten zu betreuen und im Gemeindehaus und Museum in Shipka verschiedenste Arbeiten zu erledigen. Zusätzlich kümmern sich alle Bewohner des Hauses um die Tiere und um den Haushalt, gehen Einkaufen und Kochen abwechselnd. Nach etwa zwei Wochen fühlte ich mich einigermaßen angekommen und fing an, die Zeit richtig zu genießen.

Über das Museum und das Gemeindehaus

Im Gemeindehaus und im Museum vollbringen wir hauptsächlich Renovierungsarbeiten, pflegen die angrenzenden Gärten oder helfen, Ausstellungen vorzubereiten. Letzens haben wir zusammen Seife gekocht und theoretisch gibt es neben dem Museum ein angrenzendes Café, was wir betreuen könnten, aber dafür gibt es momentan nicht genügend Volunteers. Manchmal gibt es wochenlang keine Arbeiten in den Institutionen und dann ist man eine oder zwei Wochen täglich dort, um Dinge zu erledigen. Erst letztens hatte das Gemeindehaus 160-jähriges Jubiläum und wir haben Wochen damit zugebracht, alles auf Vordermann zu bringen.

Über den Haushalt

Schwieriges Thema, gerade, weil wir mit der Betreuerin in einem Haus leben. Sie ist der Meinung, wir tun zu wenig, aber wir sind das nicht. Zwischen einem Volunteer und ihr gab es sogar mal eine richtige Fehde deswegen, aber das hat sich einigermaßen geklärt. Die Aufgaben sind eingeteilt in Badezimmer, Küche, Esszimmer und Wohnzimmer, weil wir eine relativ große Unterkunft haben, jeder hat sein eigenes Zimmer, das ist nicht zwangsläufig normal in anderen Projekten.

Über die Tiere

Wie gesagt hatten wir von Anfang an einen Hund und zwei Katzen, die eigentlich Tanjas Verantwortung waren, aber eigentlich macht jeder gleich viel für sie, weil sie als Koordinatorin meistens von morgens bis abends Termine hat. Wir füttern sie morgens und abends, mit dem Hund gehen wir zweimal pro Tag Gassi.

Weiteren Zuwachs bekamen wir schon in meiner zweiten Woche durch 10 Hühner, die allerdings jetzt nur noch sieben sind (das ist normal bei so kleinen Dingern aus eher semioptimaler Haltung [sagt Hugo]). Morgens um fünf müssen sie aus dem Stall und abends wieder rein, dazu zwei Fütterungen pro Tag.

In meiner fünften Woche fand ich einen Welpen auf der Straße und brachte ihn mit nach Hause. Für ihn sind es nochmal zwei Fütterungen pro Tag plus Spielzeit plus sehr viele Arztbesuche zur Behandlung von Krätze und den notwendigen Impfungen plus Suche nach einer neuen, beständigen Familie.

Ein paar Tage nach dem Welpen kam ein Kätzchen zu uns, das offenbar seine beste Freundin war und mit dem Welpen in seiner Hundehütte schläft. Füttern müssen wir sie trotzdem separat.

Dazu kommt das Kochen des Essens für Hunde und Katzen (wir geben ihnen abwechselnd Trockenfutter und gekochtes Huhn mit Reis) und die emotionale Aufmerksamkeit für alle Tiere.

Allein die Tiere können also schon einige Stunden in Anspruch nehmen.

Über den Garten:

Mindestens ein- bis zweimal die Woche müssen wir im Garten arbeiten, Unkraut jäten, Gemüse und Obst pflanzen, Mulch verteilen, Gießen, Kompost betreuen (vor allem den “Hot compost”), neue Beete aus Brennesselfeldern herausschlagen, Gemüse und Obst ernten und Beete nach Benutzung begrünen. Dabei lernen wir viel über das Gleichgewicht der Natur, Permakultur, die Essbarkeit und Bedürfnisse vieler verschiedener Pflanzen, die biochemischen Reaktionen der Umwelt und dass man immer eine Hose mit dreckigen Knien haben wird. Es ist vor allem mit der Sonne im Nacken keine sehr angenehme, aber dafür sehr ertragreiche Arbeit. Nicht nur sitzt man am Ende des Tages mitten in einem blühenden Paradies, man isst dabei auch noch frische Kirschen, Maulbeeren, verschiedenste Salate, Tomaten, Spargel, Möhren, Kartoffeln, Äpfel, Nüsse, Beeren, Gurken und vieles mehr frisch vom Baum/ Strauch/ Feld.

Über die Grundschule:

Als ich das erste Mal in die Schule kam, musste ich fast weinen, weil der Unterschied zwischen den “normalen Schulen” und dieser so gigantisch war: Es waren insgesamt zwölf Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren in einer großzügigen, offenen Wohnung mit einer Tafel im Esszimmer. Niemand musste fünf Stunden sitzen und der Unterricht war individuell und interaktiv. Trotzdem schafften alle Kinder dieses Jahr die Versetzungsprüfung, die durch den Staat Bulgarien angefordert wurde. Meistens kann man als Volunteer für anderthalb bis zwei Stunden in die Stadt, wenn nicht soviel los ist und beaufsichtigt die Kinder vor allem am Nachmittag, wenn alle zusammen rausgehen und im Park spielen. Da die Schule von acht bis halb sieben geöffnet ist, sind die Komm- und Gehzeiten sehr unterschiedlich. Wir nehmen meistens die Busse um 08:30, 09:30 oder 10:30 und kommen um 17:00 wieder zurück. Die Arbeit mit den Kindern ist anstrengend, auch wegen der fehlenden Autorität und Ordnung, aber am Ende des Tages findet man immer ruhige Minuten, in denen man sich auf seine eigenen Dinge konzentrieren oder einfach mal die Augen zumachen kann. Trotzdem bevorzugen die anderen Volunteers andere Arbeiten, auch, weil es nur geringfügig zum eigentlichen Projekt, dem Unterstützen der Gesellschaft Shipkas gehört.

Natürlich ist jedes Projekt dabei sehr unterschiedlich, aber in unserem Dorf gibt es beispielsweise noch eine andere Voluteeringstation, die ähnliche Teilbereiche betreuen. In anderen Projekten, beispielsweise einem Journalismusprojekt in Kazanlak, sehen die Aufgaben vollkommen anders aus.

Über ESC und die anderen Volunteers

Ein Highlight der ESC-Erfahrung ist definitv das „Arrival-Camp“, wo sich die Freiwilligen eines Landes zusammenfinden und eine Woche die Köpfe zusammenstecken.

Dieses Jahr waren wir untergebracht in dem „Balkan Hotel“ in Sofia, was eher nicht meiner Vorstellung einer Konferenzunterkunft entsprach: Es war eines der prestigeträchtigsten Hotels in ganz Bulgarien. Zwar kann man diesen Luxus nicht unbedingt erwarten – Laut meiner Betreuerin war es das erste Mal, dass die Volunteers so untergebracht wurden- aber es ist doch schön, das mal erwähnt zu haben.

Wir haben von 9:30 bis 18:00 über allerlei Dinge gesprochen, Spiele gespielt und uns miteinander bekannt gemacht. Ein großes Netzwerk aus internationalen, aufgeschlossenen Leuten zu kreieren ist definitiv eine Hoffnung von Vielen, denn es bedeutet nicht nur neue Freunde und viel Spaß, sondern auch die Möglichkeit, zu Reisen und viel über fremde Kulturen zu erfahren. Dafür haben uns vor allem die Nächte gedient, sodass wir im Endeffekt alle nicht viel geschlafen haben.

Um eine Vorstellung von dem Projekt zu bekommen, habe ich mich entschieden, einen kleinen repräsentativen Arbeitsablauf zu schreiben:

– Ich stehe morgens um etwa sieben oder acht auf, je nachdem, ob ich an diesem Tag in die Schule gehe oder wann ich am Abend davor eingeschlafen bin

– Ich lerne Bulgarisch oder mache etwas Kreatives, bevor der Tag losgeht, zum Beispiel Zeichnen oder Schreiben

– Ich mache mir eine To-Do-Liste für den Tag, da wir im Grunde selber entscheiden, wie er aussehen soll. Meistens arbeiten wir aber an einem Tag nur in einem Teilbereich, zum Beispiel dem Garten, dem Museum oder dem Gemeindezentrum.

– Ich gehe mit dem Hund spazieren, füttere Hühner, den Welpen oder alle Katzen oder auch nicht, je nachdem, ob die anderen schneller waren als ich

– Ich frühstücke selbstgemachtes Müsli mit selbstgemachtem Kefir oder Joghurt und selbst eingemachten Kirschen oder selbstgebackenes Brot mit Butter oder Käse

– Um 8:30 beginnt die Schule, um 10:00 der normale Arbeitstag

– Ich arbeite drei bis vier Stunden meine jeweilige To-Do-Liste ab oder erledige Arbeiten, die mir aufgetragen werden

– ich esse zusammen mit den anderen Volunteers und manchmal auch Tanja und Boudicca ein leichtes Mittagessen, zum Beispiel Brot und Butter, Salat aus dem Garten und Reste vom letzten Abendessen

– Ich spiele mit den Tieren oder habe etwas Zeit für mich alleine

– Nach etwa drei Uhr arbeiten wir nochmal bis fünf oder sechs, bevor wir Feierabend machen

– Zwischen fünf und acht male ich, schreibe, lerne bulgarisch, konsumiere leichte Unterhaltung (aka Youtube und Insta), mache evtl. Abendessen, füttere die Tiere oder putze, wenn ich an der Reihe bin oder mache etwas mit den anderen Volunteers.

– Um Acht gibt es Abendessen und danach meistens ein Zusammensitzen bis ca. 11 oder 12 Uhr, manchmal auch mit Gästen. Wir spielen Gesellschaftsspiele, Reden, schauen Filme oder Diskutieren einfach nur. Manchmal haben wir auch Videocalls mit unseren Familien oder anderen Organisationen.

In den 1,5 Monaten, die ich bis jetzt hier war, habe ich mich sehr gut einleben können und beinahe jeden Tag neue Erfahrungen gemacht, die mir geholfen haben, mich besser kennenzulernen. Gerade, dass man hier ohne Eltern lebt und durch ältere Volunteers zwar nicht vollkommen ins kalte Wasser geschmissen, aber dennoch viel von einem abverlangt wird, ist eine einzigartige Erfahrung und ich bin froh, sie noch vor meinem Studium machen zu können. Ich habe das Gefühl, dass die europäische Union mit ESC die Selbstständigkeit und das Gemeinschaftsgefühl in jungen EU-Bürgern fördert und damit zur Erhaltung eines starken und geeinten Europas maßgeblich beiträgt.